Umfassende Bereiche:
Die Berechtigung der Kritik an der Wissenschaft, wie sie heute vorherrscht, führt mich auf die Suche nach dem, woran ich noch weiterarbeiten kann. Ich kann ins Ökodorf gehen und Kühe melken... Permakultur zu lernen wäre sicher auch eine gute Form, neues Wissen zu gewinnen. Vielleicht würde dann auch die wirkliche Theorie besser.
Aber meine Praxis bleibt erst einmal in den alten Bahnen - noch
sehe ich auch hier Ansätze, die lohnend weiterverfolgt werden
können.
Festzuhalten ist, daß die Erkenntnis zwar Teil der Praxis
ist, aber Besonderheiten hat. In der Praxisphilosophie ist das
"Begreifen der Praxis" an kognitive
Tätigkeiten geknüpft, die nicht weiter definiert werden.
Im Ökofeminismus ist das Erkennen eng mit den alltäglichen
Arbeiten in Wald und Feld verbunden. Allerdings gibt es auch darüber
Bücher mit dem Anspruch, das jeweils Wesentliche der realen
Prozesse zu erfassen und wiederzugeben.
Als ich vor zwei Jahren versuchte, den Begriff des Gesetzes zu
verstehen, stieß ich auf genau den Begriff des Wesens.
Wenn Erkenntnis nach der üblichen Wissenschaftstheorie auf
die Erkenntnis von Gesetzen zielt, um unter den vielfältigen
Erscheinungen jeweils das Wesen zu erkennen - so mußte
ich für mich klären, was denn dieses Wesen eigentlich
ist. Nur die Klärung der Wesensfrage führt zu einer
Aufhellung der Wissenschaftsproblematik und damit auch zu einem
Verständnis dessen, was Gesetze (des Verhaltens der Dinge
in Natur und Gesellschaft, nicht im juristischen Sinn) sind. Alle
Kritiken an dem Wissens-Begriff müssen auch auf dieser Ebene
geklärt werden, sonst zielen sie daneben und treffen eventuell
nur unwesentliche Erscheinungen im Wissenschaftsbetrieb.
Nachdem ich in den Wörterbüchern nur Allerweltsphrasen
fand (Das Wesen ist das So-Sein, das Bestimmte..., das, was
ein Ding von allen anderen unterscheidet...), mußte
ich endlich doch den Hegel lesen - d.h. genauer studieren.
Jede Begriffsbestimmung hat aber bei ihm die Eigenschaft, daß
jedes Wort nicht nur in seinem Inhalt genau zu verstehen ist,
sondern in der Geschichte seiner Entstehung. Es gibt keine festen
Definitionen, sondern jeder Satz führt beim genauen Bestimmen
seiner Inhalte zu einem Weiterdenken und zu neuen Begriffen...
Und jeder Begriff hat eine längere Geschichte, die man einigermaßen
kennen muß, um überhaupt eine Ahnung von dem damit
ausgedrückten Gedanken zu bekommen. Dies kann ich im Folgenden
nicht nachvollziehen, aber einige Gedanken sollen doch herausgearbeitet
werden.
Alle Dinge in der Welt hängen mit anderen Dingen zusammen.
Und doch sind die Dinge nicht alle miteinander identisch. Sie
unterscheiden sich voneinander. Gerade die Unterschiede sind es,
die "sich anziehen" und dadurch die Verbindungen, Beziehungen
herstellen. Jedes Ding "reißt sich aus der allgemeinen
Kontinuität des Seins ... los", "scheidet sich
vom Anderen ab... und ist für sich" (Hegel, Phän.
S. 168). Wir selbst stehen in Wechselbeziehungen mit vielen Dingen.
Wenn wir sie erkennen wollen, stellen wir bestimmte Fragen, betrachten
die Dinge unter einem bestimmten Blickwinkel, der von unserem
individuellen und gesellschaftlichen Praxis-Hintergrund her bestimmt
wird. Schon für Hegel gibt es deshalb ein "Schwanken,
ob das, was für das Erkennen das Wesentliche und Notwendige
sei, es auch an den Dingen sei" (Phän. S. 167).
Legen wir das Wesen in die Dinge - oder haben sie selbst eins?
Bei Kant sind es die a priori (vor aller Erfahrung)- Eigenschaften
unseres Bewußtseins, die Formen, Kausalität usw. als
Ordnungsmuster in die Welt hineinbringen.
Hegel sieht mehr: Bei ihm sind die Gegenstände des Erkennens
selbst so beschaffen, "daß sie eine Wesentlichkeit...
haben" (Phän. S. 168). Er erläutert dies an anderer
Stelle ausführlicher:
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"Ein Ding hat die Eigenschaft, dies oder jenes im Anderen zu bewirken und auf eine eigentümliche Weise sich in seiner Beziehung zu äußern. Es beweist diese Eigenschaft nur unter der Bedingung einer entsprechenden Beschaffenheit des andern Dinges, aber sie ist ihm zugleich eigentümlich und seine mit sich identische Grundlage." (Hegel WdL II , S. 134) |
Kein Ding ist isoliert. Nur in Wechselbeziehungen zeigt es seine
Eigentümlichkeit, sein Wesen - aber die Quelle dafür
liegt in ihm selbst.
In der ersten Näherung kommen wir also hier zurück zu
den Allerweltsphrasen, die ich oben erwähnte. Die eben angesprochenen
Eigentümlichkeiten kennzeichnen das So-Sein der Dinge, ihre
Bestimmtheit. Aber jetzt kommt das Wesentliche:
Die Bestimmtheit jedes Dings (ob stofflicher Gegenstand oder ideeller
Gedankenflug...) hat die Eigenschaft, irgendwo zu enden. Jede
Bestimmung ist dadurch festgelegt, daß sie gegen anderes
bestimmt ist. Rot ist Nicht-Blau. Eine Wiese ist kein Haus.
Jede Bestimmung ist eine Negation - wußte deshalb schon
Spinoza und Hegel führte das weiter aus.
In dem Moment, wo etwas bestimmt ist, enthält es seine eigene
Negation. In der Gedankenwelt führt dies Hegel konsequent
vor (dies ist auch die Ursache für die Nicht-Definierbarkeit,
die ich oben erwähnte: Jeder Gedankengang muß weitergedacht
werden, weil jeder mögliche Begriff seine Negierung enthält,
die mitgedacht werden muß, was zu weiteren Gedanken führt...).
Aber auch die realen Dinge unterscheiden sich real in ihren Bestimmtheiten
voneinander. Diese Unterscheidungen führen zu Wechselwirkungen,
die erst "höhere" Einheiten hervorbringen.
Diese Einheiten bestehen dadurch aus unterscheidbaren Momenten
(oder Elementen, Teilen...oder wie man es auch immer bezeichnen
will). Daß die Elemente wechselwirken, führt zu einer
Einheit. Als Elemente sind sie identisch (sie sind alle Teile
derselben Einheit) und gleichzeitig unterschiedlich. Diese mysteriöse
"Identität von Identität und Unterschied"
ist der Kern aller Dialektik und gar nicht so schwer zu
verstehen.
Das Wesen, also das dem Ding Eigentümliche, seine Bestimmung
enthält also Merkmale, die es als gleichartig mit anderen
Dingen innerhalb einer Einheit ausweisen und Unterschiede
zu diesen.
Die "Identität von Naturprozessen besteht darin, daß
sie jeweilige besondere oder auch einzigartige Beiträge zum
gemeinsamen Zusammenhang darstellen" (Schmitz 1995). Diese
qualitativen Bestimmungen sind also für die Erkenntnis wesentlich
und Erkenntnis in diesem eben aufgeführten Sinn würde
völlig von ihrem Inhalt abweichen, wenn sie alle Qualitäten
auf Quantitäten reduzierte. Bisher verwendeten wir den Begriff des "Dings" als Hilfsmittel für voneinander abgesondere Teile der Realität. Genau gesehen besteht jeder Teil der Realität (ob stofflich, energetisch oder im Denken) eben nicht aus "kleinsten stofflichen Kügelchen" (das wäre mechanischer Materialismus), sondern aus ("materiellen" was nur meint, daß sie unabhängig vom Bewußtsein sind) Prozessen im Innern, die jeweils die größere Einheit konstituieren. Prozeß-Zusammenhänge, die für die Bestimmtheit des jeweiligen Teils wesentlich sind, können auch Gesetze genannt werden. Gesetze sind also wesentliche Zusammenhänge (innerhalb bestimmter Bereiche der Realität, die man als Einheit oder auch (qualitativ bestimmtes) System bezeichnen kann).
Das Wesen ist nicht durch Identität gekennzeichnet , sondern
auch durch Unterschiede, die sich in Wechselwirkungen realisieren.
Alle Bestimmtheiten realisieren sich in Prozessen. Diese Prozesse
sind eng gekoppelt an die anderen Teile der Realität (Um-Welt/
Mit-Welt). Sie führen zu Veränderungen in den Teilen,
in denen sie ablaufen und den mit ihnen wechselwirkenden (Ein
Stern ist dadurch bestimmt, daß er seine chemischen Bestandteile
in andere umwandelt, "verbrennt": er ist in jedem Moment
ein anderer als kurz vorher...; der lebensbestimmende Stoffwechsel
der Lebewesen verändert die inneren Bestandteile, nimmt Ressourcen
aus der Umwelt und entläßt Abfälle; ...). Alle
diese Prozesse verändern die Bedingungen des eigenen Seins
und die der wechselwirkenden Mit-Welt. Veränderte Bedingungen
führen zu veränderten Prozessen usw.
Auf diese Weise ist auch in der Realität kein wesentlicher
Zusammenhang statisch festzuhalten. Wesentliche Zusammenhänge(Gesetze)
"werden dauernd im Frontgeschehen der Praxis neu rekonstruiert"
(Müller, S. 18), womit wir bei einer Forderung der Praxisphilosophie
an den Gesetzesbegriff angekommen wären.
In diesem Rahmen ist auch die Rolle von Wissenschaft als Kritikableitbar.
Wesentliche Zusammenhänge sind selbst nicht statisch sondern
enthalten neue Möglichkeiten, weisen
ins Offene. Die wesentlichen Zusammenhänge müssen in
ihren Offenheiten, Möglichkeiten, Tendenzen betrachtet werden.
Bedingungsveränderungen müssen analysiert werden, was
in engem Bezug zur Praxis, die stets Bedingungen verändert,
steht. Wissenschaft ist deshalb "nicht objektivistische Erklärung
des Vorhandenen, sondern Kritik mit einem Primat der Praxis (Schmied-Kowarzik,
S. 21). a) gesellschaftliche Gesetze Die Dynamik von Gesetzen ist vor allem wichtig für gesellschaftstheoretische Überlegungen. Sie gibt Hoffnung auf ein Entrinnen aus den derzeitigen "gesetzlichen Sachzwängen" (was wieder keinesfalls auf juristischen Gesetze zu reduzieren ist!).
Sie hält jedoch daran fest, daß auch die Gesellschaft
von jeweils kokret-bestimmten wesentlichen Zusammenhängen
bestimmt wird - und nicht völlig beliebig manipulierbar und
interpretierbar ist. Da in der Gesellschaft der Mensch gleichzeitig Subjekt (der eigenen Praxis) und Objekt (der Praxis anderer) ist (Lukacz), haben gesellschaftliche Gesetze eine besondere Dynamik.
Die Verhältnisse der Menschen untereinander konstitutieren
Gesetze, die wiederum auf Menschen einwirken. Diese Art nichtlinearer
Rückkopplung deutet im Sinne des Selbstorganisationskonzepts
auf sich selbst organisierende und -verstärkende Prozeßdynamiken
hin und verbieten jedes statische Gesetzes-Denken von vornherein.
b) Mensch-Natur-Gesetze Für das Verhältnis der Menschen und ihrer Gemeinschaften/ Gesellschaften zur Natur bestehen ebenfalls diffizile wesentliche Zusammenhänge. "- "Nicht nur die Menschen sind diesen Gesetzen unterworfen, sondern die Natur selbst ist es. Damit bietet sie den Menschen die Seite, wo sie zu packen ist, wo sie nicht ausweichen kann." (Lefebvre). Auch Bacon, der immer als Kronzeuge der "vergewaltigenden" Wissenschaft gilt, unterwarf sich der Natur in gewissem Sinne: "Die Natur wird dadurch besiegt, daß man ihr gehorcht".
Beide Ansichten betonen, daß die Menschen nicht unabhängig
und gegen die "Natur der Natur" handeln können.
Aber sie betonen die Besonderheit der Menschen als Teile der Natur
und ihr Recht auf Nutzung der Gesetze in ihrem Interesse sehr
stark. Insofern "stehen sie in der Natur wie im Feindesland"
(Bloch) und verwenden eher eine Überlistungs-Technik als
eine Allianz-Technik, wie sie Ernst Bloch
vorschwebt.
Bisher wurde ein wesentlicher Unterschied zwischen Naturgesetz
und gesellschaftlichem Gesetz darin gesehen, daß nur gesellschaftliche
Gesetze vom Handeln der Menschen abhingen. Einerseits ist das Wesen des Dings nicht nur bestimmt durch seine eigentümlichen Eigenschaften und die mit sich identische Grundlage, sondern auch von der Beziehung und der Beschaffenheit des andern Dinges (siehe Zitat S. 2).
Andererseits enthält auch die Naturgesetzlichkeit Möglichkeiten,
deren Realisierung von der Entscheidung der Gesellschaft abhängt
(Atomkraft, Genmanipulierung, aber auch Permakultur...). Je nach
Entscheidung der Gesellschaft prägt die (innere und äußere)
Natur andere wesentliche Zusammenhänge aus.
c) statistisches Gesetz
Die Grundlage dafür, im Gesetz nicht nur statische Zustandsbeschreibungen
zu sehen, gibt eine erweiterte und vertiefte Gesetzesbestimmung
nach H. Hörz (Hörz 1983 u.a.).
Demnach enthalten wesentliche Zusammenhänge für die
von ihnen konstituierte Einheit eine sich notwendig realisierende
Tendenz - für die enthaltenen Teile jedoch ein Möglichkeitsfeld.
Da jedes Teil selbst Einheit und jede Einheit selbst Teil anderer
Einheiten ist, schieben sich Möglichkeitsfelder und durch
Bedingungsgesamtheiten bestimmte Notwendigkeiten "ineinander"
und vollziehen die tatsächlichen ko-evolutiven Entwicklungszusammenhänge.
Der Praxisphilosoph M. Markovic (Marcovic, S. 165) stellt eine
fundamentale Frage:
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Er fordert "Der lineare, traditionelle Determinismus soll
durch eine moderne Idee der mehrwertigen Bestimmung der alternativen
Möglichkeiten ersetzt werden." (ebenda S. 166). Den Gesetzesbegriff bezieht er ein:
"Bestimmen bedeutet, alle logisch möglichen zukünftigen
Zustände eines Systems der Phänomene auszuschließen,
die unvereinbar sind mit den Gesetzen des Systems. Innerhalb gewisser
Grenzen gibt es jedoch eine Klasse der mehr oder weniger wahrscheinlichen
realen Möglichkeiten. Das ist der Raum, wo die individuellen
subjektiven Faktoren eine ntscheidende Rolle spielen; das ist
also der Raum menschlicher Freiheit" (ebenda). F. Voßkühler beschreibt andere Voraussetzungen für einen statistischen Gesetzesbegriff.
Obwohl es Offenheiten außerhalb der streng bestimmten Notwendigkeiten
gibt (Zufall), kann der Zufall nur das materiell realisieren,
was den materialen Grundlagen materiell immanent ist. Die materielle
Ordnung der Bedingungen des Zufalls grenzt den Zufall qualitativ
ein. Die Offenheit jedoch ist dadurch realisiert, daß die
jeweils entstehende neue Ordnung nicht vorausgesetzt und nicht
einbeschrieben, sondern nur möglich (eine andere wäre
also auch möglich wäre) ist. Innerhalb einer sich entwickelnden
Welt verändern sich Bedingungen - aber so, daß die
Zukunft nicht vorherbestimmt, sondern relativ offen ist. Die sich
jeweils neu konstituierenden Gesetze werden aktiv durch die Praxis der Menschen mit
festgelegt.
Dies nimmt uns die Hoffnung auf einen Automatismus der Höherentwicklung
der Zivilisation - andererseits begründet es Aktivitäten
zur Abschaffung ausbeuterischer Gesetze und zum Entwickeln neuer
wesentlicher Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Menschen
(als besonderer Teile der Natur) und zwischen ihnen und ihrer
inneren und äußeren Natur. Das dem Menschen wesentlich
zugehörende Streben nach einer menschlichen Zukunft in einer
angemessen gestalteten äußeren Natur wirkt deshalb
"aus der Zukunft" in unsere gegenwärtige Praxis
hinein.
Hegel, G.W.F.: Phänomelogie des Geistes
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siehe auch: